Georg Friderich Händels Lebensbeschreibung – Bernhard Drobig
übersetzt von Johann Mattheson
Bearbeitung und Regie: Bernhard Trebuch
gelesen von Bernhard Drobig
Die erste große Musikerbiographie
Am 14. April 1759, es war am Karsamstag, starb in London einer der bedeutendsten Komponisten des Abendlandes: Georg Friedrich Händel. Heute, zweihundertsechzig Jahre nach dem Tod des Tonsetzers, der es kaum wie ein anderer verstand, alle Register zu ziehen, wenn es um die Umsetzung von Gefühlen durch die Musik geht, sind seine Werke unvergessen. Unvergessen machen wollte den Komponisten aus Sachsen auch der englische Theologe John Mainwaring (1724 – 1807) durch seine zunächst anonym veröffentlichten Memoirs of the Life of the late George Frederic Handel. London 1760. Dass diese erste Händel-Biographie gleich ein Jahr später auf Deutsch erschien, wird deren Verfasser sicher gefreut haben. Allerdings dürfte es Mainwaring unangenehm berührt haben, die kritischen Anmerkungen des Übersetzers, des Legations-Raths Johann Mattheson (1681 – 1764) zu lesen.
Mit untertrieben beckmesserischer Feder zieht der Händelfreund aus Hamburg gegen den Autor, dessen Fähigkeiten und nahezu gleich generell gegen England ins Feld. Freilich hatte der als Schriftsteller und Wissenschaftler allein in der Quantität seiner Schriften an Athanasius Kircher erinnernde Mattheson darunter zu leiden, dass ihm mit seinen Tongemälden ein Ruhm ähnlich dem Händels versagt geblieben ist. Und sicher lagen dem damals seit über dreißig Jahren tauben Sohn der Hansestadt auch noch die Streitereien mit dem Weltbürger Händel im Magen. Gleichwohl, auch dem einstigen Duell-Kontrahenten Mattheson unterliefen in seiner kritischen Übersetzung Irrtümer, insofern er beispielsweise schon gleich zu Beginn das mit 1684 angegebene Geburtsjahr unkorrigiert übernimmt (Nota bene: Bis zum Jahr 1752 war in England der «Julianische Kalender» mit Jahresbeginn am 25. März gültig. Dementsprechend hat Mainwaring für Händel das Geburtsjahr 1684 angegeben.). Doch wer wird denn über einen achtzigjährigen Eiferer den Stab brechen …
Gewiss kann die von Mainwaring mit spürbarer Begeisterung für einen bewundernswerten Charakter verfasste Biographie Händels mit ihren vielen Irrtümern und übergangenen Zeitläufen unseren Maßstäben nicht genügen. Sie ist eben ein typisches Zeugnis der nicht zuletzt auch auf Unterhaltung zielenden Memoirenliteratur des englischen Klassizismus. Noch weniger erträglich indes ist das Sammelsurium von besserwisserischen Anmerkungen, Zurschaustellungen von ungemeinem – aber im Zusammenhang letztendlich unnötigem – Allgemeinwissen und hanseatischem Patriotismus aus der Feder des Übersetzers: Seelenforscher könnten daraus wohl einiges über dessen innere Konstitution ableiten …
Wir wissen heute viel mehr über Händel, könnte man annehmen. Doch wissen wir wirklich viel mehr? Nicht einmal eine neue kritische Gesamtausgabe (Sie soll erst – nach siebzig Jahren – im dritten Dezennium unseres Jahrhunderts fertig werden!) liegt vor. Enttäuschend, wenn man bedenkt, dass die sogenannte alte Händel-Gesamtausgabe quasi von einem Enthusiasten alleine, Friedrich Chrysander (1826 – 1901), veröffentlicht wurde! Wer mag da schon über den glühenden Händelverehrer Mainwaring oder die gekränkten Eitelkeiten des Herrn Mattheson befinden?
Bernhard Trebuch
Weihnachten 2019